18st March 2002 - 21.12
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VON LAMAS
UMZINGELT
IN DEN ANDEN
ZWISCHEN ARGENTINIEN & CHILE
Was kann einen
körperlich wie geistig gesunden Menschen dazu bewegen, mit
rasselendem Atem und schmerzender Lunge auf über 4300 m Höhe
sein Rad durch knöcheltiefen Kies zu zerren ? Oder sich eine
Woche nur von trocken Brot und Knoblauch zu ernähren und tagelang
auf Sand-und Geröllpisten lediglich 5 km pro Stunde zu schaffen
? Es mögen die kurzen, aber unvergeßlichen Augenblicke sein,
abends endlich seine müden Knochen im warmen Schlafsack unterzubringen,
den Verkehr auf der Milchstraße zu beobachten und als schönste
Überraschung zwischen zerbröselten Crackern und schmutzigen
Socken die verschollene geglaubte Orange doch noch zu finden.
Von all dem
machte ich mir noch keine Vorstellung, als ich im Januar 92
mit dem Wunsch aufbrach, die Anden zwischen Santiago de Chile
und Salta in Argentinien alleine mit dem Rad so oft wie möglich
zu bezwingen und abschließend durch die Atacamawüste bis zum
Pazifik vorzustoßen.
Aus dem winterlichen
Deutschland kommend erschlugen mich bei der Ankunft in Santiago
hochsommerliche Hitze und Luftfeuchtigkeit und so machte ich
mir ernste Sorgen um den nächsten Tag, denn es sollte schon
der Anstieg zum 3000 m hohen Paßtunnel "Los Liberadores"
auf dem Programm stehen. Dieser Tunnel markiert nicht nur
die Grenze zwischen Chile und Argentinien, sondern er erspart
auch allen Verkehrsteilnehmern die letzten, beschwerlichen
800 Höhenmeter zum fast immer verschneiten Bermejo-Paß.
IM SCHNEE DES
BERMEJO-PASSES
Die herrliche
Aussicht aus über 3800 m wollte ich mir auf keinen Fall entgehen
lassen, und so fragte ich beim verdutzten Zöllner nach dem
Anfang der Piste zum Paß. Er wies mich nachdrücklich auf die
Gefahren hin, mußte aber bald einsehen, daß seine Belehrungen
keinen fruchtbaren Boden fanden und so zeigte er mir schließlich
den Weg. Trotz 1:1-Übersetzung kam ich im Schneematsch nur
noch zentimeterweise voran, wurde schließlich von der Dämmerung
überrascht und hatte gerade noch genug Zeit, um für meinen
Schlafsack und mich ein bequemes Plätzchen zu suchen (ich
bin ein entschiedener Zeltgegner). Die Nacht war ruhig, aber
frisch und so hatte ich am nächsten Morgen den gefrorenen
Tau vom Schlafsack zu klopfen. Schon bald mußte ich Rad und
Ausrüstung hinter einer Schneewehe verstecken und setzte meinen
Aufstieg zu Fuß fort. Die dünne Höhenluft und der tiefe Schnee
bereiteten mir erhebliche Schwierigkeiten, aber ich ließ mir
nicht die Laune verderben, und oben angekommen genoß ich den
Ausblick hinunter in den Talkessel, der von zahllosen Vier-
und Fünftausendern umgeben ist. Der nahezu unberührten Schnee
zeigte deutlich, daß hier pro Sommer nicht mehr als eine Handvoll
Leute hochkamen, um die nun völlig verlassene Grenzstation
für einige Stunden zu bevölkern. Zurück an der Grenze war
der Zöllner angenehm überrascht mich lebend wiederzusehen
und ermöglichte mir so eine problemlose Einreise nach Argentinien.
WUNDER AUF ARGENTINISCH,
DIE "DIFUNTA CORREA"
Kurz hinter
Mendoza machte ich eher zufällig Bekanntschaft mit dem Wallfahrtsort
der "Difunta Correa" (Schlafende Correa). Man erzählt,
daß sich im letzten Jahrhundert eine junge Mutter mit ihrem
Baby aufmachte, ihren Mann in der Wüste zu besuchen, der dort
als Soldat stationiert war. Die Sache ging nicht gut, die
Mutter starb, aber der Säugling konnte seinen Durst noch einige
Tage an der toten Mutter Brust stillen und wurde schließlich
gerettet. Aufgrund dieses Wunders pilgern nun Tausende hierhin,
um die "Difunta Correa" um einen Gefallen zu bitten.
Und wenn´s in Erfüllung geht, dann kommen sie nochmal wieder
und befestigen eine Plakette mit einer Danksagung an einer
der zahlreichen Kapellen. Ich für meinen Teil war schon hochzufrieden
mit dem Colastand und etwas Schatten, der für eine Siesta
ausreichte.
ZU GAST BEI
SEÑOR ISCHIGUALASTO
Auf dem Weg
von San Juan nach La Rioja trifft man bei San Augustin de
Valle Fertil auf das Mondtal, zu Ehren eines Indianerhäuptlings
auch "Nationalpark Ischigualasto" genannt. Es ist
ein fantastischer Skulpturengarten, der durch Wind und Erosion
in Jahrtausenden aus dem weichen Kalkstein geformt wurde,
und die Formationen haben so anschauliche Namen wie "Aladin´s
Lampe" oder "der Pilz". Dieses Freilichtmuseum
der Naturkräfte läßt sich normalerweise auf einer bequemen,
touristengerechten Rundfahrt besichtigen, wegen der Regenfälle
der letzten Nacht war die Piste aber für Autos unpassierbar
und so bekam ich an diesem Tag als einziger die Genehmigung,
das Tal zu besichtigen. Diese Steinwüste, farblich von Gelb
bis Rot variierend und im starken Kontrast zum tiefblauen
Himmel und den schneeweißen Wolken stehend, ist eine einzige
Ansammlung von Überraschungen. Hinter jedem Hügel, hinter
jeder Kurve wartet ein neuer Knüller, und man kommt aus dem
Staunen nicht mehr heraus. Die eigene Phantasie läuft auf
Hochtouren, man entdeckt Dämonengesichter, Kamele oder auch
ein Paar Schuhe
.
DIE JAMA-LEGENDE
Schon seit Mendoza besorgte mich ein Thema
ganz besonders: War es überhaupt möglich, die Anden zwischen
Salta und dem chilenischen San Pedro de Atacama zu überqueren
? Die Auswahl unterschiedlichster Gerüchte war groß, man redete
von Straßenüberschwemmungen und langen Sandpassagen und schließlich
erfuhr ich, daß es sage und schreibe 3 Pässe geben sollte.
Der Guatiquana-Paß steht in jedem Schulatlas, in Argentinien
hatte davon aber noch niemand etwas gehört. Dann der erst
vor wenigen Monaten eröffnete und von Coca Cola gesponsorte
Jama-Paß, über den es aber nur vage Vermutungen gab. Und zu
guter Letzt hörte ich auch noch etwas vom Paso de Sico, der
mit 4000 m der niedrigste der drei Pässe sein sollte. So setzte
ich meine ganze Hoffnung aufs Toristeninformationsbüro in
Salta, aber leider hatte man auch hier mehr Interesse an meinem
Rad als Informationen, die mir bei der Paßwahl hätten helfen
können und so beschloß ich, das Problem auszusitzen. Mein
nächstes Ziel war San Antonio de los Cobres auf 3800 m Höhe,
die Piste dorthin führte in eine breite Schlucht, die anfänglich
noch in tiefem Grün erstrahlte, an dessen Hängen eine Eisenbahnlinie
lang führte und die gelegentlich auf gewagten Brückenkonstruktionen
die Talseite wechselte. Mit zunehmender Höhe wich das Grün
einer grau-braunen Steinlandschaft, durchsetzt mit bis zu
5 Meter hohen "Banditen"-Kakteen (Kandelaber-Kakteen,
die sich zu großen Gruppen zusammenzurotten, um dann scheinbar
die Berghänge hinunterzustürmen). Die ach so entsetzlichen
Überschwemmungen hatten sich als reine Panikmache herausgestellt,
denn der Biker kann ja bei Bedarf sein Gefährt einfach durch
den Problembereich tragen. Eine böse Überraschung war jedoch
das Werk eines Straßenbauteams, daß die eh´schon schlechte
Wellblechpiste umgepflügt und in einen unbefahrbaren Acker
verwandelt hatte. Für die nächsten Stunden hatte ich genug
zu tun mit fluchen, ärgern, schimpfen und nebenbei auch Fahrrad
schleppen.
Part 2
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