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18st March 2002 - 21.12 GMT

Ein Abenteuer aus Südamerika

Snow near Agua Negra pass

Begegnungen mit Menschen

Viel zu selten geht man auf die Menschen ein, die man während der Reise trifft. In den allermeisten Fällen sind die Leute für den Verlauf der Weltgeschichte vollkommen unerheblich, aber gelegentlich haben sie einen kleinen oder grossen Einfluss auf unser eigenes Leben.

Ein Grenzbeamter in Chile

Ort: Chilenische Grenze mit Argentinien am Paso Agua Negra

Seit acht Monaten schiebt Carlos hier oben an der eisigen Grenze zwischen Argentinien und Chile seinen Dienst, 3 Monate Dienst und dann 2 Wochen nach Hause. Die Zollabfertigung ist nur auf 2200 m Höhe gelegen, aber der Winter ist trotzdem hart. Der Agua-Negra-Pass verliert im Herbst die eh schon geringe Bedeutung, die er Sommer hat, denn er ist unter einigen Metern Neuschnee begraben. Die Tage werden kurz, zum Schichtwechsel in der nahen Goldmine "El Indio" rollen dreimal pro Tage einer Flotte Zubringerbusse hier vorbei, gelegentlich bringt ein Fahrer ein paar Bier oder ein Pornoheft mit, denn Carlos kann seinen Posten nicht verlassen.

Wenn es das Wetter zulässt, reitet er mit Kamaraden zum Pass, im sicheren Abstand von einigen verwilderten Hunden ein langer, anstrengender Weg, vorbei an verlassenen Siedlungen, die niemals richtig lebendig waren, der gefrorenen "La Laguna" und der "Quebrada Colorada", der man unter der Schneedecke und dem grauen Himmel ihre Farbenpracht nicht einmal erahnen kann. Kommen sie am zweiten Tage endlich am verrosteten Passchild an, so machen sie sich auch gleich wieder auf den Rückweg, um so schnell wie möglich in die Trostlosigkeit des Abfertigungsgebäudes zurück zu kehren.


Der Agua Negra - 1. Tag

Ich bin am Anfang einer Anden-Tour, voller Pläne und das einholen des Ausreisestempels erscheint mir eine Formsache zu sein. Auf der dreitägigen Anreise von La Serena habe ich zwar einige Gerüchte darüber gehört, das der Pass noch zu sei, aber ich habe gelernt mich von diesen Geschichten nicht unnötig verrückt machen zu lassen. Ich stelle das Rad im respektvollen Abstand ab, fahre mir in dem unsinnigen Unterfangen, etwas gepflegter auszusehen, nochmal durch die verschwitzten Haare und trete in die warme Amtsstube.

Beim Eintreten in die Dienststube verstummt das Pfeifen des Windes, dass mich die letzten Tage begleitet hat und es umpfängt mich eine wohlliche Wärme, am Fenster, hinterm Tresen steht ein Weihnachtsbaum aus Plastik, an der Wand das unvermeidliche Bild des Präsidenten.

Buenos Tardes, Señor, ich hätte gerne einen Ausreisestempel.

Der Beamte wird zugleich etwas förmlicher, erhebt sich von seiner Schreibmaschine und tritt an den Tresen heran.

Passport.

Hier, bitte.

Mit mehr neugierigem als kritischen Blick überprüft er meinen Pass, das ganze zieht sich sicherlich eine Minute hin, dann klappt er den Pass langsam zu, legt ihn behutsam auf den Tresen und es tritt eine dramturgische Pause ein, bis er spricht.

Lo siento, señor, aber der Agua-Negra-Pass ist noch nicht befahrbar und ich kann ihnen keinen Stempel geben.

Grosse Güte, mir läuft ein Schauer über den Rücken. Jetzt heisst es klug sein. Vielleicht kriege ich ihn mit der Wahrheit überzeugt, soll heissen, mit fast der Wahrheit.

Entschuldigen Sie bitte, aber diese Überquerung ist sehr wichtig. Ich bin auf einer großen Südamerikarunde und auf der argentinischen Seite warten zwei Freunde von mir, mit denen ich weiterfahren will.

Dies stimmt fast. Zur gleichen Zeit sind nämlich ein bekumpeltes Päarchen auf ihrer Weltreise und halten sich in Mendoza auf (leider sollte es zu keinem Treffen kommen, es trennen uns -15.000 km von zu Hause entfernt- ca 500 km und ein Warten bzw. Hetzen ist für keinen von uns vertretbar).

Es hilft alles nichts; die Passstrasse ist geräumt und befahrbar, aber es fehlt die offizielle Eröffnung. Ohne diese sind die Beamten nicht berechtigt, Stempel zu vergeben. Nix zu machen. Etwas unbeholfen deute ich an, daß mir ein Stempel "sehr wertvoll" sei, aber mein Bestechungsversuch ist zu ungeschickt oder die Beamten zu ehrlich.

Nicht gleich verzweifelt, aber doch sehr beunruhigt setzte ich mich erstmal raus, um eine Kippe zu kiffen.

Scheisse, was machen ? Die Einreise nach Argentinien kannst Du vergessen und damit ist das ganze Konzept hin. Ach, es war doch alles so wunderbar geplant. Von Santiago über den Agua Negra, etwas Argentinien und über den San Franzisco wieder zurück.

In solchen Situationen macht es sich immer gut sich auf das Kerngeschäft zu besinnen und sich zu vergewissern, was man eigentlich will. Die Frage kann ich mir schnell beantworten: Ruhm, ich will Ruhm ! Ich will auf den Pass rauf, wenn ich deswegen etwas Stolz runterschlucken muss, ist das nur halb so wild. So nehme ich schnell von einem eheren Prinzip Abstand, dem ich fast 8 Jahre lang eisern gefolgt war. Nämlich eine reine Radrunde zu drehen, die nicht von anderen Verkehrsmitteln unterbrochen wird.

Also, nur von der chilenischen Seite operieren. Ein Pass rauf, Foto machen und auf dem gleichen Weg wieder zurück. Bus nehmen, zum nächsten Basecamp fahren und dort das gleiche Spielchen wieder.

Ich gehe wieder zurück in die Amtsstube und versuche Carlos und seinem Vorgesetzten meinen Plan zu verkaufen. Ich lasse meinen Pass in der Amtsstube und versuche mich am Pass in einigen Tagesausfügen. Nach einer kurzen Beratung haben die beiden nichts dagegen einzuwenden, ich kann sogar meine überschüssige Ausrüstung in der Stube lassen und bekomme etwas Wasser.

Jetzt aber schnell los, nur mit dem nötigsten auf dem Rad lasse ich den Schlagbaum hinter mir, passiere ein Horde lausiger Köter, die ich später noch fürchten sollte und nehme die Schotterpiste unter die Räder.

Die Steigung ist nicht zu wild, das Wellblech erträglich, passiere eine Geisterneubausiedlung und erreiche gegen Mittag den Stausee La Laguna auf 3000 m, an dessen Ufer noch ein paar schnelle Kilometer zu machen sind. Hier ist sind ein paar Fischerhütten und etwas weiter das Camp der Jungs von der Strasseninstandhaltung.

Ich kann der Piste nicht wiederstehen, wechsele auf einem Damm auf die andere Seite und die Piste biegt scharf links in ein weiteres Tal ein, es geht wieder aufwärts. Noch 1500 Höhenmeter, aber wo ?

Da sehe ich vor mir eine Diagonale, schnurgerade und unangenehm steil, auf halber Höhe mache ich den Strassenbautrupp aus. Ich verschnaufe nochmal, damit ich mir keine Blösse vor den Jungs geben muss, wenn ich sie passiere. Dies ist gar nicht so einfach, denn die Burschen haben die Piste umgepflügt und so muss ich doch noch schieben. Noch 500 Meter, dann habe ich 3500 m erreicht. Ein schnelle Brotzeit und dann muss ich wieder zurück.

Es geht zu spät auf den Rückweg, im letzten Sonnenlicht beginne ich mit der 50 Kilometer langen Abfahrt. Bald ist es stockfinster, das Rad schwimmt im Schotter, aber ich muss zusehen, dass ich so schnell wie möglich wieder zum Grenzposten kommt. Die Kälte beisst in den Händen, meine dünnen Fleecehandschuhe helfen wenig und die Hände schmerzen höllisch durch das permanente Bremsen. Der dünne Lichtfinger der Radlampe hat grosse Mühe die Piste aud der Nacht zu schällen und dann beginnt auch noch mein Rücken, mörderisch zu schmerzen. In meinem Daypack habe ich Kamera, Stativ und noch zwei oder drei Kilo anderes Zeug, aber an Anhalten ist nicht zu denken. Es wird immer kälter und mein Schlafsack ist an der Grenzstation.

Tagebuchauszug 19-12-1995

"13:30, 30 km, 3070 m: Sobald eine Steigung kommt ist es irrsinnig anstrengend, dann halte ich an, der Wind säuselt in mein Ohr, der Körper erholt sich wieder und ich fühl' mich gut und frei. So ein Pass ist eine feine Sache."

Nach drei Stunden anstrengender Abfahrt bin ich fast am Ziel, jetzt muss ich nur noch an den Kötern vorbei. Dies ist garnicht so einfach, denn dort ist die Strecke flach, hat ne ganze Menge Sand und der Streckenverlauf ist in der Dunkelheit nicht leicht zu erkennen. Ich habe Glück, der Gegenwind treibt meine Witterung von ihnen Weg und so beginnt das Gebell erst, als ich direkt vor ihnen bin. Aber jetzt höre ganz deutlich schnelle Pfoten, die sich durch den Sand und Kies schnell auf mich zubewegen, sehen kann ich sie nicht. Das würde noch fehlen, im Kies zu stürzen und von einem tollwütigen Köter gebissen zu werden. Aber ich schaffe die letzte Beschleunigung dieser Nacht, erreiche bald das Grenzgebäude, hole meine Klamotten und schlage mein Camp gleich hinter der nächste Ecke auf.

Der Agua Negra - 2. Tag

Will ich jemals auf den 4700 m hohen Pass, dann muss ich mir was einfallen lassen. Gestern habe ich in einem Tag 50 km rauf bis auf 3500 m geschafft. Dies will und kann ich mir heute nicht nochmal antuen und so warte ich auf einen Transport rauf zur La Laguna. Erst gegen drei Uhr mittags kommt der Pickup von Sergio, dem verantwortlichen Strassenbauingenieur und nimmt einen Indio und mich bis zur La Laguna mit.

Ich breche nach einer kurzen Brotzeit auf, aber es geht nicht besonders. Nach einer Stunde Fahrt fällt mir plötzlich auf, dass ich meine Fleecejacke am Ausgangspunkt vergessen habe. Verflucht, alles für die Katz. Ich kehre gerade um, dann kommt Sergio wieder vorbei und nimmt mich mit zurück, ich stehe hinten auf dem Pickup und sichere so gut es geht mein Rad. Bald sind wir wieder da, finde nicht meine Jacke und fahre wieder zurück.Nach einer halben Stunde sehe ich, dass ich diesmal meinen Tacho/Höhenmesser verloren habe. Dies kann nur auf dem Pickup passiert sein. So ein verdammter Mist. Ich komme an diesem Tag nur 8 Kilometer -bis auf 3800 Meter- voran.

Dann kommt schon der LKW vom Pass, meine einzige Chance, rechtzeitig dem beissenden Nachtfrost zu entkommen. Die Jungs vom Bautrupp laden mich zum Abendessen ein, was ich gerne annehme. Wir futtern die üblichen Bohnen, dann nimmt mich der Koch ins Kreuzverhör, seinem Spanisch kann ich jedoch nicht so recht folgen. Ich schon fast fertig, in die Poffe zu fallen, da werde ich "eingeladen", noch an der Nachtschicht teilzunehmen. Todmüde fahren wir noch ein paar Kilometer, ich schaue den Strassenarbeiten zu, ein seltsames Bild. Ein Pass, der nur drei bis vier Monate pro Jahr auf ist und nur von ein paar argentinischen Schmugglern benutzt wird und die Jungs schlagen sich eine bitterkalte Nacht um die Ohren, um ihren Job noch  rechtzeitig fertig zu kriegen.

Der Agua Negra - 3. Tag

Tagebuchauszug 19-12-1995

15:00, 18 km, 4300m: Scheisse, Mann ! Ist das Geröll zu tief, so schieb ich nur 20 bis 30 m, dann muss ich verschnaufen, halte Maulaffen feil, gucke Löcher in die Luft oder sonstwas. Es zieht ziemlich verdammt rein, oder ich steh' einfach nur dumm rum.

Ich verbringe die Nacht in der Fahrerkabine eines LKW, seltsame Träume an einem unwirtlichen Ort. Um 8 geht's endlich los und die Jungs bringen mich zum gestrigen Schlusspunkt, wünschen mir Glück, wir werden uns später am Pass wiedertreffen.Nur schwer ist die Idee zu verdauen, dass noch 25 Kilometer und 1000 Höhenmeter fehlen, ich beginne am Erfolg meines Unternehmen zu zweifeln, bevor ich nur einen Meter gefahren bin. Es werden sehr lange Kilometer am heutigen Tag, circa noch 12 in diesem Tal und dann sehe ich endlich zu meiner Linken die letzten 10 Kilometer und 700 Höhenmeter bis zum Agua Negra.  Das fiese Geröll bleibt, der starke Wind treibt mich in der einen Richtung fast von alleine durch den Kies, aber wenn die Serpentine ihre unvermeintliche Kehrtwendung macht, kann man nur noch schieben. 10 Schritte, das Rad rutscht dauernd weg, der Mund steht weit offen und die Pumpe rasst. Wenigstens kann ich meinen Frust nach Herzenslust in die Weite der chilenischen Anden rausbrüllen. Aber die Qualen haben irgendwann auch mal ein Ende, ich passiere die Jungs vom Bautrupp und nach weiteren 15 Minuten sehe ich das Grenzschild "Bienvenido a la Republica de Chile".


:- )